Nominiert für den Deutschen Reporterpreis 2010.
Respekt
Väterchen Frost:
Louis van Gaal war beim FC Bayern München schon so gut wie
entlassen. Dann ging sein Konzept auf. Brachial steht der Holländer
vor seinen Spielern, predigt Werte und holzt gegen die Medien. Zu
Besuch bei einem Mann der Familie.
Alexander Gorkow und
Holger Gertz, Süddeutsche Zeitung, 21.04.2010
Alles an ihm ist
gewaltig. Der Kopf. Der Händedruck. Der Blick ist eine Frechheit. Er
starrt einen an. Ruft er Daten im Gegenüber ab?
So schaut Louis van
Gaal auch, wenn er sauer ist. Im Internet kann man sich diese
Filmchen ansehen. Wie er ganz nah an arme Menschen - er würde sagen:
an Ahnungslose - 'rangeht und sie zu Tode guckt: Linienrichter,
Journalisten. Man sollte sich wappnen. Ein Anruf beim Sportreporter
Marcel Reif, der diesem Blick live im Fernsehen standhalten muss. Was
macht man, wenn van Gaal so guckt? Reif sagt: "Zurückgucken!
Das ist keine Arroganz. Er ist halt das Gegenteil eines Schleimers.
Er checkt den Respekt. Es ist ein Spiel, aber eines, das er wie fast
alles im Leben sehr ernst nimmt. Wenn du ihm ausweichst, oder wenn du
auf dicke Hose machst und blöd 'rumgrinst - zack, bist du erledigt."
So wird man in einem
Büro am Trainingsgelände auf der Säbener Straße angestarrt. Man
starrt zurück. Es ist ein Spaghetti-Western in Giesing.
Er sitzt in einem
Sofa, T-Shirt mit seinen Initialen, Trainingshose, Adiletten. Er ist
bei der Arbeit, sagt dieser Aufzug. Er unterbricht seine Arbeit für
ein Interview. Keiner hat ihn gezwungen, aber alles an ihm sagt: Was
soll das? In 24 Stunden geht es gegen Hannover, den Verein, der
Schalke besiegte, und danach - im ersten Championsleague-Halbfinale
für den Verein seit zehn Jahren - gegen Lyon. Vor ihm, auf dem
Tisch: eine Tasse Kaffee, in der er rührt, auch dies mit Gewalt. Er
schaut einen an, eindringlich, womöglich fassungslos über die
ersten Fragen, man weiß es ja nicht. Er nimmt einen Schluck Kaffee,
wobei er einen, über den Rand der Tasse hinweg, weiter- fixiert.
Seine Augen sind klar und blau.
"Die Medien
haben ein anderes Interesse als ich", sagt er, "das ist das
Problem. Wenn die Medien einen Spieler erniedrigen, werde ich den
Spieler schützen."
Aber Medien sind
nicht gleich Medien, Herr van Gaal.
"Dohoooch!"
- sein kehliger, leicht singender Akzent. "Alle Medien haben ein
anderes Interesse als ich. Alle."
Aber nicht alle
Journalisten sind böse.
"Doch."
Pause. "Alle."
Wir sind nicht böse.
"Doch."
Pause. "Sie auch."
Eigentlich ist es
saukomisch. Man versucht es also mal mit einem Lächeln. Er lächelt
nicht.
Van Gaal hat ein
Bein über das andere gelegt, die rechte Adilette schaukelt
angriffslustig auf Tischplattenhöhe. Das Gespräch bewegt sich
bereits jetzt im schweißtreibenden Bereich. Van Gaal sagt nichts. Er
ist ein Zahnarzt, der kurz mit dem Bohren aufhört, um nachzusehen,
ob er tiefer rein muss. In der Regel muss er tiefer rein. Also: "Ich
denke, dass ich eine lange Erfahrung habe mit den Medien. Tut mir
leid, aber ich habe auch mehr Erfahrung als Sie."
Man muss ihm jetzt
etwas anbieten. Von Spielern fordert er Leistung, von Journalisten
Ahnung und ein lohnendes Thema. Werte sind ein großes Thema in
seinem Leben. "Wir würden gerne über Werte mit Ihnen reden,
Herr van Gaal." Da zieht er eine Braue hoch.
Aloysius Paulus
Maria van Gaal, geboren in Amsterdam als letztes von neun Kindern in
einer erzkatholischen Familie. Der Vater war ein Patriarch. Als Louis
van Gaal sechs Jahre alt war, erlitt der Vater einen Schlaganfall und
lag im Bett. Er starb fünf Jahre später, vergaß in seinen letzten
Lebensjahren aber nicht, sich den Kleinsten der Familie bringen zu
lassen, um ihm wieder und wieder den Hintern zu versohlen.
Jetzt ist Louis van
Gaal 58 Jahre alt, ehemaliger Fußballer, Trainer seit 1986 - und
seit Beginn der Saison beim FC Bayern. Die Bayern haben ihn geholt,
weil er Erfolg hatte: Champions-League-Sieger mit Amsterdam, Meister
und Pokalsieger mit Barcelona, holländischer Meister zuletzt mit dem
AZ Alkmaar. Es gab auch Misserfolge, die Wunden hinterlassen haben.
Sein Rauswurf in Barcelona, sein Scheitern als Bondscoach in Holland.
Die Bayern haben ihn
auch geholt, obwohl er überall Theater hatte, immer wieder mal mit
Spielern und immer mit Journalisten. Sein Engagement war also so
logisch wie waghalsig. Dann starteten die Bayern in der Bundesliga
schwächer als ein Jahr zuvor mit dem Trainerpraktikanten Jürgen
Klinsmann. Sie verloren in der Champions-League 0:2 gegen Bordeaux.
Karl-Heinz Rummenigge, der Vorstandschef, hatte schon wieder diesen
fletschenden Zug um den Mund, dessentwegen man ihn Killerkalle nennt.
Es war die Phase, in der viele im Verein, auch im Vorstand, glaubten,
sie haben keinen Trainer engagiert, sondern einen Diktator und
Brachialkommunikator.
Auf dem Oktoberfest
saß der Trainer neben Edmund Stoiber, man hatte sich ersichtlich
wenig zu sagen. Vorher probierte van Gaal eine Lederhose an, und weil
er nicht der Typ ist, der mit seinem Körper unzufrieden wäre, fand
er, dass er in dieser Hose aussehe wie Gott. Es war eher so ein
hingeworfener Satz, und auch einer mit einer Prise Selbstironie. Aber
Fußball und Ironie sind so eine Sache. In den Medien stand: "Van
Gaal: ,Ich bin wie Gott`". Nachdem er sich beschwert hatte, über
die Medien, denen Werte wie Ehrlichkeit und korrekter Umgang mit
Zitaten nichts bedeuten, titelten sie: "Van Gaal: ,Bin kein
Gott`". Da war er schon fast gescheitert.
"Das Wichtigste
ist, dass der Trainer von seinen Spielern respektiert wird. Dann vom
Vorstand. Dann vom Publikum. Dann von den Medien. Das ist die
Reihenfolge", sagt Louis van Gaal jetzt im Bayern-Büro.
Von den Spielern kam
damals in der schlimmen Anfangszeit keine Kritik. Anders als bei
Klinsmann, anders als, Jahre vorher, bei Rehhagel. Philipp Lahm
beklagte sich über alles Mögliche im Verein, über den Trainer aber
nicht. Mark van Bommel, der für Knackiges gegen Klinsmann immer zu
haben war, brummelte tapfer, er habe ein gutes Gefühl mit van Gaal,
man brauche halt Zeit. Schließlich kaufte der Verein Arjen Robben
aus Madrid, den van Gaal schon trainiert hatte, als der noch Haare
hatte und in der holländischen Juniorennationalmannschaft spielte.
Van Gaal war zu diesem Zeitpunkt mit Abstand Spitzenreiter unter
jenen Trainern in der Geschichte des FC Bayern, die sehr bedroht
waren und dann im letzten Moment doch nicht gefeuert wurden.
Kurz vor Weihnachten
gewannen sie plötzlich 4:1 in Turin. Es war eine Explosion. Eine
chemische Verbindung war aufgegangen: Sie hatten für sich gespielt,
aber auch für den Trainer. Wenn das Verhältnis kaputt ist, kann man
nicht so spielen. Man hätte ohne diese Chemie später auch nicht das
technisch weit überlegene Manchester United aus dem Wettbewerb
geworfen.
Es gibt viele
Gründe, warum man inzwischen glauben kann, van Gaal sei der richtige
Trainer für die Bayern, ein Glückstreffer schon deshalb, weil er
der Gegenentwurf zu Klinsmann ist, dem es zum bis heute anhaltenden
Entsetzen im Verein und bei den Fans gelang, jeden Spieler jeden Tag
ein bisschen schlechter zu machen. Klinsmann war ein Virtuose an der
Computertastatur. Van Gaal pflegt zu Computern ein ähnlich
distanziertes Verhältnis wie der Vereinspräsident Uli Hoeneß, der
erst nach ewigen Debatten bereit war, sich von seiner Frau wenigstens
erklären zu lassen, wie Online-Banking funktioniert. Van Gaal hält
Computer für Kommunikationskiller. "Als ich klein war, woraus
bestand da meine Welt? Der Lehrer in der Schule, der Pastor von der
Kirche, und meine Eltern. Und jetzt? Macht es pling, und die Kinder
sind mit der Welt verbunden. Chatten ist nur schreiben. Aber ich
schaue Sie an, ich entwickle ein Gefühl für Ihre Persönlichkeit -
das ist Kommunikation! Man muss sich sehen, wenn man miteinander
redet. Sonst bleibt alles kalt."
Es gibt Trainer, die
verpflichten einen Spieler, nachdem sie Videos von ihm gesehen haben.
Van Gaal verpflichtet einen Spieler, nachdem er ihn kennengelernt,
betrachtet und getestet hat. Toni Kroos, der an Leverkusen
ausgeliehene Mittelfeldmann, war gerade da. Die beiden haben sich
sehr lange unterhalten, über Fußball und vor allem das Leben. Toni
Kroos hat dem Blick standgehalten.
Louis van Gaal ist
in Holland populär, aber inzwischen auch berechenbar, ein
Journalistenfresser wie hier in Bayern früher Franz Josef Strauß
oder in Deutschland Helmut Schmidt. Van Gaals Theater mit Reportern
in Holland ist Legende. "Bin ich so schlau, oder bist du zu
blöd?", hat er einen Reporter angebellt. Seine Biographie wurde
beworben mit dem Slogan: "Willst du auch klug werden und keine
dummen Fragen mehr stellen, dann bestell hier das Buch von Louis van
Gaal!"
In Deutschland
klingt alles noch neu, was van Gaal sagt, das Publikum hier ist
süchtig nach Personen, die ihm dabei helfen, Dinge zu ordnen. Die
Popularität von Menschen wie Helmut Schmidt oder Uli Wickert erklärt
sich so. Vaterfiguren sind das, und dass sie bisweilen Strenge
versprühen, die arrogant wirkt, schmälert ihre Beliebtheit nicht in
Zeiten, in denen politisches Personal ölig und hemdsärmelig
daherkommt. Erst recht nicht in Bayern, einem immer noch
konservativen Flächenstaat, in dem die Leute ein Herz haben für
starke Typen, und weniger für einen Ministerpräsidenten, der das
Weißblaue vom Himmel verspricht und lange braucht, um sich zu
entscheiden, ob er lieber bei seiner Frau bleiben will oder bei der
Liebschaft in Berlin, mit der er ein Kind gezeugt hat.
Louis van Gaal hat
gemerkt, dass die Menschen in Deutschland ihn lieber mögen als die
Medien. Als es schlecht lief bei ihm und dem FC Bayern, im November
2009, da war die Jahreshauptversammlung des Vereins mit Tausenden
Mitgliedern in der Münchner Messe. Was die Medien wunderte: Louis
van Gaal wurde bejubelt. Das hat ihn berührt.
Wenn es gut läuft,
dann ist ein Fußballverein wie eine Familie. Uli Hoeneß, der
Präsident, hat sich den FC Bayern immer so vorgestellt. Die
Fußballer durften bei ihm auf dem Sofa schlafen, wenn sie von ihrer
echten Familie eine Auszeit brauchten. Für seine Anführer war der
FC Bayern immer eine Heimat, auch, wenn die Karriere vorbei war:
Beckenbauer wurde Präsident, Hoeneß Manager, Müller
Amateurtrainer, Scholl Amateurtrainer, Aumann Fanbeauftragter;
Dremmler wurde Scout, Maier Torwarttrainer auf Lebenszeit,
Schwarzenbeck lieferte das Büromaterial, und auch Jürgen Wegmann
durfte darauf vertrauen, dass Hoeneß ihn nie verstoßen würde. Für
Wegmann fand sich eine Anstellung als Lagerist im Bayern-Fanshop
Oberhausen.
Aber dann wurde in
München Klinsmann Trainer, der dünnhaarige, spitzgliedrige
Projektleiter. Der Torwarttrainer Sepp Maier, der Klinsmann
verachtete, zog die abgewetzten Handschuhe aus, der
Schreibwarenlieferant Schwarzenbeck ging in Rente. Es war klar, dass
Beckenbauer bald kein Präsident mehr sein würde und Hoeneß kein
Manager. Als Louis van Gaal kam, stand viel mehr als nur der Ruf der
Familie auf dem Spiel: Es ging jetzt um die Familie selbst.
Der größte
Glücksfall für die Bayern ist jetzt Louis van Gaals Talent als:
Vater seiner Spieler.
Das eine ist,
Schweinsteiger und Van Bommel als Doppelsechs hinten im strategisch
wichtigen Raum aufzubieten und ihnen beizubringen, Bälle in die
Spitze zu spielen, wie das die Doppelsechs bei Barcelona kann. Das
andere ist: das Familiengefühl zu beleben. Van Gaal bestimmt die
Sitzordnung beim Essen. Am Anfang fanden die Fußballer das nervig.
"Aber inzwischen ist unter den Spielern so viel Kommunikation,
dass ich mit einem Löffel an ein Glas schlagen muss, wenn ich etwas
ankündigen will", sagt van Gaal und schlägt mit seinem Löffel
an die Kaffeetasse. Er bestimmt auch, wer auf dem Mannschaftsbild wo
steht. Wenn eine Mannschaft wie eine Familie ist, dann ist das
Mannschaftsbild wie ein Familienfoto: "Das wird in der ganzen
Welt gezeigt, da muss es auch schön aussehen, denke ich. Alle müssen
das Hemd in der Hose haben. Und der kleine Ribéry darf nicht neben
dem riesigen van Buyten stehen, das sieht ja schrecklich aus."
Aber sind das, in
Wirklichkeit, nicht alles verzogene Burschen, die sich alles kaufen
können, die die Puffs der Stadt testen und dann weiterziehen?
Louis van Gaal mag
solche Fragen. Sie geben ihm Gelegenheit, sich vor die Spieler zu
stellen. Man muss wissen, wo der Feind sitzt. Er kann auch leise so
reden, dass es wie Gebrüll klingt: "Wenn ein junger Mann viel
Geld verdient, dann ist er für Sie kein Mensch mehr? Für mich sind
die Spieler Menschen. Und Menschen können zuhören."
Ein paar Mal hat man
in dieser Saison gesehen, wie weit es van Gaal gebracht hat mit
seiner Familienplanung. Einmal hat sich Franck Ribéry auf ihn
gestürzt nach einem Tor, einmal rannten ihm Schweinsteiger und
Robben hinterher, man sieht solche Szenen selten in der Bundesliga.
Van Gaal sagt: "Das war herrlich." Allerdings hat er sich,
auf der Flucht vor Schweinsteiger und Robben, einen Muskel gezerrt.
Die Medien haben sich gewundert, dass er diese Nähe zulässt. Gibt
es zwei van Gaals?
"Einen!",
ruft van Gaal jetzt, und wieder: "Einen!" Sein Zeigefinger
bohrt in die Luft. "Beim Training zum Beispiel", ruft er:
"Sie, die Journalisten, Sie könnten zeigen, dass ich den jungen
Thomas Müller beschimpfe. Oder: dass ich ihm einen Kuss gebe! Beides
kommt vor im Training. Und was zeigen Sie? Sie zeigen, dass ich
Müller beschimpfe. Nicht den Kuss."
Ein Kuss für Thomas
Müller?
Van Gaal starrt
einen jetzt wieder sehr konzentriert an. Immer noch wackelt die
Adilette. Endlich, ein Lächeln. Und dann der nahezu
niederschmetternde Satz: "Es könnte auch sein, dass ich IHNEN
einen Kuss gebe!" So ein Ding kommt bei ihm wie von Robben einer
dieser Sprints: sozusagen aus dem Stand. Beides erfordert eine
gewisse Helligkeit im Kopf. Ein Schockmoment im Büro an der Säbener
Straße, den van Gaal genießt. Er sagt dann noch: "Vielleicht
küsse ich Sie gleich - vielleicht aber auch erst in einem Jahr!"
Der Charakter eines
Menschen, das ist auch die Summe der Erfahrungen, die er gemacht hat.
Es gibt Schlüsselerlebnisse, Momente, die einen prägen. Vielleicht
erklärt die Geschichte mit Fernanda den Trainer Louis van Gaal - und
vor allem den Menschen. Fernanda war seine erste Frau. Sie hatten
1973 geheiratet, gerade zwanzig waren sie. Eine schöne Frau und ein
Mann mit einer schon damals interessanten Nase. Zwei Töchter, Renate
und Brenda. Nach zwanzig Jahren Ehe wurde bei Fernanda van Gaal
Leberkrebs diagnostiziert, Louis war gerade Trainer in Amsterdam bei
Ajax.
Die holländische
Liga heißt Eredivisie, Ehrendivision, aber der Name verpflichtet zu
nichts. Die holländischen Fans mit den kalten Herzen singen nicht
das harmlose Zeug aus der Bundesliga, "Scheiß FC Bayern"
oder "Schiri, wir wissen dass du Strapse trägst!" Es geht
in Holland schlimmer zu. In der Eredivisie singen die Fans "Kezman
in een Massagraf" ("Kezman in ein Massengrab") oder
"Joden hebben kanker, alle Joden hebben kanker": Joden sind
Juden, und Kanker bedeutet Krebs. "Kanker van Gaal, Kanker van
Gaal, kanker, kanker, kanker van Gaal" sangen die Fans aus
Rotterdam, und: "Van Gaal hat eine krebskranke Frau!"
Louis van Gaal sitzt
im Bayern-Büro, alles liegt fast zwanzig Jahre zurück, aber jetzt
ist es nah. "Die haben laut genug gesungen." Er macht eine
seiner langen Pause. "Ich war das Opfer, das stimmt. Aber ich
konnte das analysieren und eine Position dazu haben. Deswegen konnte
ich das auch ertragen. Das war nur ein Teil der Fans." Der Krebs
war aggressiv, Fernanda wurde bestrahlt, am Ende bekam sie Morphium
gegen die Schmerzen. Mehr konnte man nicht mehr tun. Sie starb mit
39.
Die Fans der anderen
sangen: "Louis van Gaal - der wohnt allein!"
"Wie man
miteinander umgeht, welche Werte gelten, das sieht man auch am
Verhalten der Fans", sagt er: "Der Unterschied zwischen
Holland und Deutschland ist sehr groß."
Van Gaal erzählt
nun über seine erste Frau und ihren Tod. Es war ein Drama, in dem
vieles angelegt ist, was den Mann heute ausmacht. Seine Vorsicht mit
Menschen, seine Akribie beim Zusammenstellen seiner Mannschaft, seine
Suche nach Wärme in einem Team, sein Fürsorgegefühl für die
Spieler, denen er haarklein erklärt, warum er sie nicht aufstellt;
seine Distanz zur Welt draußen - und seine Erdung im Hier und Jetzt
statt zum Beispiel in der Religion.
Es gibt Leute, die
finden, wenn sie einen geliebten Menschen verlieren, Trost bei Gott,
an dessen Existenz sie vorher zweifelten. Und es gibt Leute, die
fühlen sich, wenn sie einen geliebten Menschen verlieren, nicht von
der Welt, aber von Gott in einer Art alleingelassen, die gemeiner,
weil stiller nicht sein könnte. Man brüllt und brüllt, und es
kommt keine Antwort. Van Gaal kennt dieses Brüllen, und auch die
Stille, die folgt. Also verlässt er sich auf Menschen statt auf den
lieben Gott.
"Ich bin
erzogen als katholischer Bub. So einem Jungen werden Geschichten
erzählt. Diese Geschichten sind nicht in Erfüllung gegangen. Ich
habe das Leid gesehen von meiner Frau. Dieses Leid war unmenschlich.
Wenn ein Gott da ist, so erlaubt der das nicht. Er erlaubt es aber.
Jeden Tag. Ich glaube nicht mehr an ihn."
Was, wenn auch Gott
nicht perfekt ist?
"Ein Mensch ist
nicht perfekt", sagt van Gaal, "natürlich nicht. Aber ein
Gott? Ein Gott und nicht perfekt? Das ergibt doch keinen Sinn. Nein:
Es gibt keinen Gott." Er wischt sich kurz über die Augen. Er
ringt ein bisschen mit sich. Und sagt dann: "Wissen Sie, das war
ein sehr guter Mensch, meine Frau."
Man muss Regeln
aufstellen und darauf achten, dass alle die Regeln einhalten, sonst
geht alles den Bach runter. Man muss Verantwortung übernehmen, für
sich und für seine Familie, es gibt keinen, der einem das abnimmt.
Einen Tag vor dem
Gespräch ist Fernandas Mutter, van Gaals frühere Schwiegermutter,
gestorben.
Louis van Gaal ist
zur Beerdigung gefahren, um mit seinen Töchtern da zu sein. Die
Beerdigung war am Dienstag, einen Tag vor dem Halbfinale seiner
Bayern heute Abend gegen Lyon. Und wegen des Flugverbots: von München
nach Amsterdam mit dem Auto, das sind rund neun Stunden. Er wird zum
Spiel zurück sein. Aber in dem einen oder anderen Internetforum
fragen sie: Darf man das? So kurz vor so einem Spiel?
Es sind exakt die
Fragen, die Louis van Gaal für wahnsinnig dumm hält.
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